Beiträge

Als im Frühsommer 2021 die Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung vorgestellt wurde, bekam sie im Gegensatz zu anderen Studien eher wenig Aufmerksamkeit in den Medien. Die Kritik an der Studie ist nicht ganz unberechtigt, ist doch die Anzahl Teilnehmer an der Studie eher überschaubar. Es sind nicht einmal so viele Leute befragt worden, wie in meinem kleinen Dorf zwischen Paderborn und Büren wohnen. Sogar gut 500 weniger. Trotzdem ist die Studie nicht ganz unerheblich, betrachtet sie doch insbesondere eine aktuell wichtige Frage: Wie stark sind Rechtsextremismus, Verschwörungstheorien und Fremdenfeindlichkeit in der Mitte der Gesellschaft angekommen? Wobei die „Mitte“ ein eher unscharfer Begriff ist, sie wird im Buch nicht genauer spezifiziert. Politisch gesehen würde ich sie bei den Wählern von SPD, CDU und FDP verorten. Gesellschaftlich im Mittelstand sowie kurz darüber oder darunter. Die Mitte-Studie gibt es seit 2002 im Abstand von zwei Jahren. Der Fragenkatalog ist jeweils an aktuelle Situationen angepasst, so tauchen Fragen zu Corona und Impfverhalten natürlich erst in dieser Studie für 2020/2021 auf. Was die Mitte-Studie aber schon liefert, ist ein Vergleich der Ergebnisse über nun 20 Jahre, wie sich die Einstellungen der Mitte verändert haben und unter welchen Einflüssen. So gesehen stimmen die Ergebnisse nicht unbedingt froh, zeigt sich doch ein Einsickern rechter und rechtsextremer Positionen in eine Gesellschaft der Mitte, die sich mal auf Vernunft, Bildung und Sachlichkeit berief.


Ganzer Beitrag …

Eine Gruppe Studenten bekommt folgende Aufgabe gestellt:

Auf einem Teich wachsen Seerosen. An jedem Tag verdoppelt sich die von ihnen bedeckte Wasserfläche. Nach 48 Tagen ist der ganze Teich bedeckt. Wann war der Teich zur Hälfte bedeckt?

Nur 18% der Studenten lieferten spontan die richtige Antwort, von den anderen 82% meinte die große Mehrheit, das sei nach 24 Tagen der Fall gewesen. Was zeigt, dass Menschen, auch die mit einer höheren Bildung, mit exponentiellen Funktionen nicht umgehen können. So waren auch Politiker und sogar Wissenschaftler von der rasanten Ausbreitung des Corona-Virus überrascht. Ich war ob des Themas von einer gewissen Skepsis beim Beginn des Buches befangen, musste aber schnell feststellen, dass Stöcker mit seiner These völlig recht hat. Dieser eingebaute Mangel an Verständnis für Mathematik hat Konsequenzen. Unsere Entscheidungsblindheit und unsere Neigung zu unlogischen Annahmen hat schon Daniel Kahneman bewiesen, der in diesem Buch oft zitiert wird. Die eigentliche Frage ist daher, was diese Einschränkung bewirkt, in einer Welt, die von exponentiellen Entwicklungen geprägt ist. Sei es in der Technik und der Wissenschaft, in gesellschaftlichen und politischen Tendenzen, in der weltweiten Bevölkerungszahl oder beim Klimawandel. Doch ist das das nicht das einzige Thema, nicht einmal das zentrale, sondern Stöcker ist in der Forschung der künstlichen Intelligenz beteiligt. Auch die entwickelt sich exponentiell, nicht nur wegen immer leistungsfähigerer Hardware, sondern auch wegen ganz neuer Wege und Methoden in der Software. KI greift schon dort immer mehr in unser Leben ein als gedacht, wo wir sie direkt gar nicht sehen: in den sozialen Medien. Mit weitreichenden Folgen, die immer gefährlicher werden. Also ist es nicht ein Buch über menschliche Fehlannahmen, sondern mehr über künstliche Intelligenz.

Christian StöckerDas Experiment sind wir


Ganzer Beitrag …

Ein Bücher-Tipp der ganz anderen Art. Schon bekannt, dass es nicht nur eine holländische Sauce gibt, sondern drei? Wie kocht man nun Blumenkohl so, dass er nicht wässrig wird und ist das bei Brokkoli genau so? Ich kann mir kaum vorstellen, dass irgendetwas, was mit Kochen, Backen und Braten zu tun hat, nicht in diesem Buch steht. Unter Koch-Profis bekannt wie der Semendjajew unter Ingenieuren, Amateure kennen das Buch wohl kaum. Sollten sie aber. Das "Kiehnle Kochbuch" ist ein schwäbisches Kochbuch, das seit 1921 in neun Ausgaben erschien. Autorin der ersten Ausgabe war Hermine Kiehnle, nach der das Kochbuch benannt ist. Für die aktuelle Neubearbeitung von 2010 ist Monika Graff verantwortlich. Das Kiehnle Kochbuch wurde im Laufe seiner Geschichte bis heute mehrfach und teilweise aufwendig überarbeitet. Maria Hädecke, die Ehefrau des Verlegers, kochte für die Ausgabe der 1960er Jahre fast 2.500 Rezepte in der heimischen Küche über mehrere Jahre nach. Auch die Folgeausgaben wurden von der Verlegerfamilie, Autoren und bei befreundeten Testköchen immer wieder unter die Lupe genommen.

Das Kochbuch führt in den ersten Abschnitten in die Grundlagen der Küche ein, erklärt Zutaten und Küchengeräte und erklärt die wichtigsten verwendeten Mengenangaben. Der Rezeptteil ist einerseits nach dem Kriterium Menübestandteil, aber auch nach Zutaten gegliedert. Es gibt eigene Abschnitte für Getränke, zum Backen und zum Konservieren. Am Ende des Buches finden sich Grundregeln der Ernährung, zur Vorratshaltung, sowie Ratschläge zur Gestaltung von Menüs und zur Tischdekoration. In den Umschlaginnenseiten befindet sich in der aktuellen Ausgabe auch ein Saisonkalender für Obst und Gemüse. Manchmal blättere ich gerne einfach darin. Und der Preis ist auch eine absolute Überraschung.

Braucht es noch ein Buch über die deutsche Einheit oder ist schon genug darüber geschrieben worden? Tatsächlich geht das Buch von Detlev Brunner und Günther Heydemann die Sache etwas anders an als andere Bücher. Der erste Teil des Buches behandelt die Geschehnisse rund um die Wiedervereinigung anhand von Zahlen, Umfragen und historischen Analysen. Ziemlich harte Fakten für Liebhaber harter Statistiken. Es geht um demografische Entwicklung und Migration, wirtschaftliche und soziale Folgen, Ablauf und Konsequenzen des Transformationsprozesses. Aber auch um Mentalitäten, Einstellungen und kulturelle Trends. Was zuerst wie stumpfes und langweiliges Zahlenmaterial klingt, zeigt jedoch in vielen Details, wie diese Transformation von DDR zu neuen Bundesländern tatsächlich abgelaufen ist. Die Rolle und das Versagen der Treuhand bekommen breiten Raum, wie die Menschen in Ostdeutschland die Transformation erlebt haben. So wundert es im Nachhinein eher weniger, wie viele Menschen 1990 und in den Jahren danach enttäuscht wurden, als Führungspositionen, Verwaltung bis in die Gerichte fest in westlicher Hand gerieten. Ein nächster Teil des Buches subsummiert dazu die weiteren Entwicklungen dieser Zeit, von der digitalen Revolution und Kommunikation bis zum Umbau der Wissenschaft und Lehre im Osten der Republik. Den Abschluss bildet eine historische Zusammenfassung, wie es nach der Einheit weiter ging, die Krisen und Kriege, die gesamtdeutsche Außen- und Sicherheitspolitik, der neue aufkommende Rechtsradikalismus, die Entwicklung der Europäischen Union. In dieser Gesamtheit ein tatsächlich neues Buch über ein inzwischen beinahe altes Thema. Wäre da nicht die Gegenwart.


Ganzer Beitrag ...

Bevor nun der nächste Bücherstapel von der Bundeszentrale für politische Bildung mit schwerer Kost eintrudelt, etwas für zwischendurch. Der Begriff geistert in den letzten Jahren verstärkt durch die Medien: Narzissmus. Aber was ist das eigentlich? Nein, ganz so naiv bin ich nicht, aber ich wollte schon aus persönlichem Interesse etwas darüber aus berufenen Munde lesen. Um zu prüfen, ob ich schon NarzisstInnen ins Netz gegangen bin, ob die letzte zerbröselte Beziehung etwas damit zu tun hatte, oder ganz allgemein um mehr über meine direkten Mitmenschen zu erfahren. Bin ich etwa selbst einer, der sich in den sozialen Medien und im Radio produziert? Da fängt die Malaise an. So einfach ist die Geschichte nämlich nicht. Nur weil jemand sich öffentlich darstellt oder öffentlich äußert, hat das nicht unbedingt etwas mit Narzissmus zu tun. Genau so hat Narzissmus nichts mit einem starken Selbstwertgefühl zu tun, im Gegenteil. Der Begriff ist zuerst einmal sehr schwammig und undeutlich. Die Definition, was einen Narzissten von einem Zeitgenossen, oder einer Zeitgenossin, unterscheidet, die nur einfach selbstsicher und mit einem gesunden Selbstvertrauen ausgestattet ist, gerät nicht in das alltägliche Allgemeinwissen. Das Buch schien für dieses Ansinnen geeignet. Auch wenn es der manchmal belächelten Ratgeberliteratur angehört.


Ganzer Beitrag ...

Was war das denn nun, am 6. Januar 2020 im Capitol in Washington. War es ein Putsch, war es eine Revolution, war es ein Sturm oder war es schlicht Terrorismus? Charlotte Klonk analysiert aus den Bildern heraus die Vorgänge, die zum Überfall auf das Parlament der USA führten. Damit kommt sie zu einer anderen Sichtweise auf das Geschehnis, sie deutet Motivationen und Emotionen aus der eher geschichtlichen Sicht. Viele Begriffe für diesen Tag jedoch, so Klonk, verfehlen das eigentlich Gefährliche an diesem Ereignis. Den Angriff auf die Volkssouveränität, der im Namen eines souveränen Volkes ausgeführt wurde. Eher Retrovolution als Revolution, eher Aufstand der weißen Männer, die in die Vergangenheit zurück möchten, als Volksbewegung.

Sie liegt damit nicht verkehrt, beriefen sich doch die Angreifer auf die amerikanische Verfassung, auf den Geist der Gründerväter und das, was die amerikanische Verfassung dem Volke garantiert. Oder angeblich garantiert. Denn ihre Interpretation der amerikanischen Verfassung ist genau so hanebüchen wie das Verständnis des Waffentragens in den USA. Das soll die Möglichkeit bieten, Haus, Hof und Person vor Verbrechen zu schützen, aber nicht dazu dienen, eine missliebige Regierung auszuschalten. So kommt Klonk zu dem Schluss, dass hier nicht "das Volk" am Werk war, sondern eine abstruse Mischung aus Esoterikern, QAnon-Anhängern und Verschwörungsgläubigen. Das Titelbild mit dem QAnon-Schamanen macht die Situation sehr klar. Das alles hätte man jedoch auch in der New York Times oder im Spiegel nachlesen können. Ob es dazu ein Büchlein im Reklam-Format mit gerade mal 60 Seiten und einem Preis von 12 Euro gebraucht hat, erscheint mir doch eher fraglich.


Ganzer Beitrag ...

Das Buch über den Sound des Jahrhunderts hat mich doch sehr lange beschäftigt, bis ich zu diesem Buch kam. Noch etwas befeuert von einer Sendung mit Bernd Stegemann in WDR 5. Nun ist Stegemann nicht gerade ein Zeitgenosse, den man politisch so einfach verorten könnte. Gilt als linksliberal, scheut aber auch nicht vor Kritik am linken Spektrum zurück. Dazu ist er weder Philosoph noch Soziologe oder Psychologe. Sondern in der Hauptsache Dramaturg. So bewegt sich "Die Öffentlichkeit und ihre Feinde" eher auf der Ebene eines frei flottierenden Essays, als es wissenschaftliche Betrachtung oder Analyse ist, geschweige denn Sachinformation. Es beginnt mit der Frage, was denn Öffentlichkeit überhaupt ist. Geht man in die Siebziger oder Achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts zurück, war Öffentlichkeit im Wesentlichen das, was von Medien wie Zeitungen und Rundfunk verbreitet wurde. Mit den technologischen Veränderungen im 21. Jahrhundert hat sich der Begriff Öffentlichkeit gewandelt, Sender und Empfänger sind nicht mehr klar unterscheidbar. Dafür ist Öffentlichkeit nun geprägt von Auseinandersetzungen, Streit und Beschimpfungen, bis hin zu Beleidigungen, Hass und Hetze. Diese Entwicklungen nur den Sozialen Medien in die Schuhe zu schieben, greift jedoch zu kurz. Die zunehmende Spaltung der Öffentlichkeit, die Betonung von Identitätsfragen und Gruppenzuordnungen hat, so Stegemann, seine Wurzeln zuerst an anderer Stelle. Und zeigt sie noch woanders, nämlich in den Veränderungen der Gesellschaft in neue Schichten. Denn der eigentliche Verantwortliche sei der Neoliberalismus. Als schleichendes Gift mit weitreichenden Folgen.


Ganzer Beitrag ...

Mal keine Philosophie, keine Politik, nicht einmal Soziologie. Ein dickes, schweres Buch über Klänge, Geräusche, Lärm und Musik. Von der Entwicklung der akustischen Umgebung in den Städten während der industriellen Entwicklung, über die Anfänge der Tonaufzeichnung, die Elektrifizierung des Klangs bis in die Gegenwart mit ihrer Kakophonie aus Klingeltönen und die Klangwelten des digitalen Zeitalters. Gegliedert in sechs Kapitel, beginnend 1889 eben bis heute. Es geht nicht nur um Musik, sondern um das Hören und Wahrnehmen, Sound in der Politik und wie sie sich in den verschiedenen Gesellschaftsformen darstellt. Es geht um Grammophon, um Radio, um Propaganda, um alles, was mit unserer akustischen Welt zusammenhängt. Am Rande dann auch um Musik, um Filmmusik, Punk, patriotischen Rock und ein bisschen darum, wie Klänge, besser Sounds, sogar politische Veränderungen begleitet haben. Von der Musik als Funktion und als Emotion.

Begleitet werden die 100 Beiträge unterschiedlichster Autoren vieler Wissensbereiche von einer DVD mit mehr als 80 akustischen Dokumenten, die von historischen Klängen bis zu politischen Reden und einfach Geräuschen die Texte ergänzen. Ein Brecher von Buch mit vielen Bildern und Illustrationen. Für ein Buch dieses Umfangs und dieser Tiefe zu einem unfassbar fairen Preis bei der Bundeszentrale für politische Bildung (www.bpb.de). Für alle an der Akustik technisch, kulturell und historisch Interessierten eine tolle Lektüre, die einen lange beschäftigt.

Der Klappentext:

Geräusche, Töne, Stimmen 1889 bis heute

Wie klingt eigentlich Geschichte? Das zwanzigste Jahrhundert erlebte akustische Zäsuren wie keine Zeit zuvor. Was war der charakteristische Sound der politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen? Welche Kraft hatten bestimmte Schallereignisse? Wie ist das Verhältnis von Sound und Macht? Wie sehr präg(t)en akustische Welt und Hörsinn den menschlichen Alltag und das historische Geschehen? Schriftliche und bildliche Quellen werden schon lange untersucht, aber in diesem Dossier stehen Geräusche, Töne und Stimmen im Fokus. Die interdisziplinär ausgelegten Beiträge erhellen die sozialen, kulturellen, politischen, wirtschaftlichen oder geschlechterspezifischen Aspekte einzelner Klanggeschichten.

Einkaufen, Kochen und Backen für Weihnachten, Aufbau einer neuen Website für den Marktplatz Ehrenamt Paderborn und viel Arbeit fürs Radio haben meinen Lesefluss arg gebremst. Nach zwei begonnenen, aber nicht beendeten Büchern dann das hier. Auch das hätte ich beinahe abgebrochen, doch dann blieb ich dabei. Weil aus dem ziemlich sperrigen und wenig sagendem Titel sich dann doch viel mehr ergab. Ein philosophisches Buch, der Titel nicht sofort für sich sprechend. Die Kernfrage des Buches ist, ob es universale moralische Tatsachen gibt. Diese Frage drängt sich nicht unbedingt auf, man stellt sie sich wahrscheinlich eher weniger. Aber Markus Gabriel eröffnet mit diesem Startpunkt eine sehr aufschlussreiche und denkwürdige Reise zum Status Quo der aktuellen Zeit. Auch das mag wenig Anreiz geben, sich das Buch anzutun. Wenn man aber Fragen nach Moral und Ethik auf aktuelle politische und gesellschaftliche Entwicklungen lenkt, bekommt die Sache eine ganz andere Bedeutung. Woher stammen solche Sichten der Welt wie Multikulturalismus, Wertepluralismus oder sogar Wertenihilismus? Was ist das überhaupt? Gibt es tatsächlich unterschiedliche Kulturen, und gelten in ihnen unterschiedliche moralische Werte und Werturteile? Wie moralisch ist unser alltägliches Leben? Ist es moralisch, sich jedes Jahr ein neues Smartphone zu kaufen, auch wenn dafür Kinder in südamerikanischen Minen ein sehr dreckiges Leben führen? Da bekommen Fragen nach moralischem und unmoralischem Entscheiden, nach dem Wert des globalisierten Turbokapitalismus und des westlichen Konsums ganz neue Seiten. Dass Gabriel da nicht in die Tiefen der Philosophie herab steigt, ist angebracht, sein Ziel ist eher zu klären, wie aufgeklärt im Sinne Kants die Menschheit zur Zeit ist. Mit der Vielschichtigkeit dieser Frage kann man das Buch dann nicht so einfach weg lesen wie einen Roman. Soll man auch nicht. Es ist nämlich kein Lesebuch, sondern eher ein Denkbuch.


Ganzer Beitrag ...

Schon einmal hatte ich mich als Wossi geoutet. War in den frühen Achtzigern öfter in Ost-Berlin, 1991 in Eilsleben, 1992 zu ersten Mal in Potsdam. Mindestens ein Dutzend Mal in Tharandt, auch in Dresden, Meißen, Leipzig, an der Müritz und in Kühlungsborn, in Chemnitz und Zwickau. Habe 2010 den Malerweg 'gemacht'. Bad Schandau mochte ich sehr, überhaupt das Elbsandsteingebirge, bis es mir die Braunhemden und Träger von AfD-Einkaufsbeuteln verleidet haben. Zuletzt im September 2021 in Affalter, Lößnitz, Oelsnitz und vielen anderen Orten im Erzgebirge. Mich hat dieser Teil Deutschlands immer fasziniert, obwohl er mir zu Anfang so fremd war wie Nairobi. Deshalb interessieren mich noch immer Bücher über die ehemalige DDR besonders. In der Hoffnung, irgendwann den Osten zu verstehen, seine Andersartigkeit im Vergleich zum Westen zu begreifen. Dieses Buch hat mir da eine Menge weiter geholfen. Es ist kein lineares Lesebuch, es ist eine Sammlung von Reportagen, Essays, Geschichten und Texten der "ZEIT im Osten". Hat den Vorteil, dass man sich vorarbeiten kann, Text um Text, Thema um Thema. Aber es sind nicht nur Beiträge der Zeitung, es sind auch Bilder, Fotos, Grafiken, die Atmosphäre und Anschaulichkeit mitbringen. Aus den Siebzigern bis heute, das Verbliebene und das Gewesene. Von allen Büchern über die ehemalige DDR war keines so umfassend, so allumfassend vom ganz Privaten bis zum Politischen. Wenn auch im Umfang passend, fast DIN A4-Größe, fast 500 Seiten. Hardcover. Dann noch der Knaller: Preis 7,-- Euro. Plus Versandkosten. Der BPB sei Dank.

Die ZEIT im OstenGuter Osten, böser Osten


Ganzer Beitrag ...

Ein Resteverkauf beim Fontis-Verlag, wo auch ein gewisser Uwe Schulz publiziert, animierte mich zur Bestellung zweier Bücher eben dieses Autors. Nachdem mich sein Buch "Nur noch eine Tür" doch recht beeindruckt zurückgelassen hatte. Aber ich bin mit Uwe Schulz noch weiter verbunden. Wenn morgens früh der Radiowecker seinen Betrieb aufnimmt und ich an manchen Tagen dann sage "Guten Morgen, Uwe".  Sein Buch "Versöhnung" ist schon 2015 erschienen, also kein so neues Werk. Ein Buch mit "Erzählungen vom Rand der Verzweiflung bis ins Zentrum lebendiger Hoffnung. Das Leben zwischen Himmel und Erde mit allen Farbschattierungen.", wie es auf der Facebook-Seite für das Buch heißt. Genau sind es zwölf Erzählungen. Geprägt ist das Buch durch Schulz' christlichen Glauben und durch seinen Bezug zur Bibel. Was mich als Agnostiker, der sich aber aus seinem Lebenslauf heraus immer noch mit der evangelischen Kirche als soziale Institution verbunden fühlt, kein Hindernis ist. Denn wie schon in seinem oben erwähnten Buch ist zwar der Glaube in den Texten nicht zu übersehen. Aber auch nicht die Haltung. Ein Buch mit dem Glauben, aber nicht über den Glauben.

Uwe SchulzVersöhnung


Ganzer Beitrag ...

Nachdem ich die Bundeszentrale für politische Bildung (www.bpb.de/shop/) als neue Quelle für politische Bücher zu Kampfpreisen entdeckt hatte, orderte ich testweise zwei Ausgaben. Die erste, über den Populismus, gab ich nach einem Drittel wieder auf. Weil sehr schwer verständlich. So wertvoll vielleicht wissenschaftlich, so unleserlich für den Alltagsleser. Das zweite Buch motivierte mich mit einer Dicke von 4,5 Zentimetern nicht so direkt zum Aufschlagen, aber ich fing aus Interesse trotzdem an zu lesen. Dieses Buch habe ich ordentlich zu Ende gelesen. Hat halt etwas Zeit gekostet. Erleichternd sollte ich erwähnen, dass 1,5 Zentimeter Papier allein Anmerkungen und Bibliografie geschuldet sind. Auch wenn ich dem Thema des Buches, der Geschichte des Antisemitismus, nicht direkt nahe stand, ist es eine selten so gesehene detaillierte und zugleich lesenswerte Darstellung. Nicht nur historisch genau in Einzelheiten und Zusammenhängen, sondern sogar aktuell bis in die Neuzeit. Wer sich für die neuere deutsche Geschichte in diesem Bereich interessiert, sollte die 4,50 Euro plus Versandkosten ab einem Kilogramm Buch springen lassen. Für das Wissen um die deutsche Geschichte eine lohnenswerte Investition. Denn es geht um mehr als nur um das Thema auf dem Buchdeckel. Es geht um die deutsche Geschichte.


Ganzer Beitrag ...

Pascal Mercier: Das Gewicht der Worte

Pascal Mercier: Das Gewicht der Worte

Hatte ich schon einmal geschrieben, dass ich Romanen eigentlich nicht viel abgewinnen kann. Wenn aber der Autor im Philosophischen Radio in WDR 5 auftaucht, bekommt ein Buch eine andere Attraktivität. Darüber wurde sein bürgerlicher Name hinter dem Pseudonym bekannt, und zum Inhalt der Geschichte gab es damit einen Spoiler. Am Ende kaufe ich solche Bücher dann doch. Pascal Mercier, bürgerlich Peter Bieri, geboren 1944 in Bern, ist ein Schweizer Philosoph und Schriftsteller. Leute wie Bieri schreiben keine normalen Romane, diese Bücher sind mehr als nur Vertreiben der Zeit oder einfach Unterhaltung. Philosophische Fragen kommen ins Spiel, nicht profan nach dem Sinn des Lebens oder nach gut und böse. Nicht einmal ganz klar wird es am Anfang, was diese Geschichte nun will, die man vielleicht selbst schon einmal durchdacht hat. Ob es um Worte, Sprache oder um die Zeit geht, oder vielleicht alles davon. Je tiefer ich in die Geschichte eintauchte, desto mehr interessierten mich die dahinter stehenden Grundfragen. Es können also dröge Philosophen tolle Stories schreiben. Zum Beispiel zur Frage, wie frei wir in unseren Entscheidungen tatsächlich sind.

Pascal MercierDas Gewicht der Worte


Ganzer Beitrag ...

Ein Mitglied der SPD aus Dortmund kommt 2002 mit gerade mal 31 Jahren als Direktkandidat in den Deutschen Bundestag. Er ist voller Tatendrang und Sendungsbewusstsein, hat hehre Vorstellungen von Politik, will verändern und progressive linke Politik machen. Doch kaum ist er in Berlin angekommen, wird er ausgebremst und diszipliniert. Von Parteitaktik und Fraktionszwang, von den ungeschriebenen Regeln. Kritiker der Großen Koalition während der  Regierungsbildung 2017/2018, stimmt er im März 2018 gegen Angela Merkel. Seine Progressive Plattform verfolgt zwei Ziele: In einem linken Bündnis die SPD zu erneuern und gegen die soziale Ungleichheit in Deutschland anzugehen. 5.000 Menschen unterschrieben seinen Aufruf, rund die Hälfte SPD-Mitglieder, die andere Hälfte Mitglieder in anderen Parteien oder parteilos. Doch er scheitert. 2018 tritt er aus der SPD aus. In seinem Buch Lobbyland erzählt er seine Geschichte, von seinen Erlebnissen in der Politik und erklärt seine Sicht auf den deutschen Politikbetrieb. Da ich bisher nicht gehört habe, dass jemand gegen diese Aussagen geklagt hätte, ist unsere Demokratie wohl viel weniger von der AfD oder von Verschwörungserzählern bedroht, sondern eher durch das Treiben unter der großen gläsernen Kuppel am Platz der Republik 1.

Marco BülowLobbyland


Ganzer Beitrag ...

Uwe Schulz: Nur noch eine Tür

Uwe Schulz: Nur noch eine Tür

Lange genug habe ich Bögen um dieses Buch gemacht. Dabei ist der Autor eine meiner liebsten Stimmen im WDR. Uwe Schulz, Journalist, Autor, Moderator, Trainer, seit 1993 war er bei Eins Live, dem WDR-Fernsehen, WDR 2 und in der WM-Redaktion 2006 des ARD-Hörfunks beschäftigt. Aktuell hört man ihn oft in WDR 5, vom Morgenecho über Alles in Butter bis zur Medienschelte in Töne, Texte, Bilder. Eine Zeit lang war er stellvertretender Studioleiter in Bielefeld und hatte eine Korrespondenten-Vertretung im ARD-Studio in London. Sein Buch Nur noch eine Tür behandelt ein Thema, mit dem die Beschäftigung mit 30 noch leicht fällt, aber um so schwerer, wenn man wie ich die 60 schon länger hinter sich gelassen hat. Dabei ist es weder eine philosophische, noch eine wissenschaftliche, noch eine theoretische Betrachtung. Es ist eine Art Reflektion über diesen letzten Weg, diese letzte Tür, durch die wir alle irgendwann gehen müssen. Uwe Schulz leuchtet aus, was der Tod in unserem Alltag bedeutet, mit Menschen, bei denen eben diese letzte Tür zum Alltag oder sogar zu ihrem Beruf gehört. Oder die selbst das Ende ihres irdischen Daseins vor Augen haben. Denn mal mutig ans Werk. Spoileralarm: es lohnt sich.

Uwe SchulzNur noch eine Tür


Ganzer Beitrag ...

Es gibt in den Wissenschaften ganz schon schmutzige Ecken. Zu diesen zählt zum Beispiel die theoretische Physik, die in etwa so übel ist wie die theoretische Chemie. Genau aus einer solchen Ecke kommt Dirk Brockmann. Wenn der jetzt etwas über Themen schreibt wie Kritikalität, komplexe Netzwerke oder Kipppunkte, ist Fürchterliches zu erwarten. Oder? Entwarnung, Brockmann behandelt in seinem Buch eigentlich schwierige wissenschaftliche Themen. Trotzdem bin ich als Durchschnitts-Journalist und -Informatiker prima damit zurecht gekommen. Ganz im Gegenteil, fast hätte ich Brockmann als einen kleinen Bill Bryson geadelt. Es geht um Brockmanns Spezialgebiete von der theoretischen Physik über die Komplexitätsforschung bis zur Chaostheorie. Wobei er in der Lage ist, komplexe Fragestellungen ohne viel Mathematik, Physik oder intellektuelle Purzelbäume abzuhandeln. Ganz im Gegenteil, es ist ein spaßiges Buch, das zeigt, wie komplex einerseits und überschaubar andererseits unsere Welt ist. Wenn wir die Regeln beachten. Warum lesen das nicht mal unsere Politiker?

Dirk BrockmannIm Wald vor lauter Bäumen


Ganzer Beitrag ...

Als zutiefst anglophiler Zeitgenosse, der seit den Neunzigern in Großbritannien gearbeitet und auch sonst viel Zeit dort verbracht  hat, wurde ich oft gebeten zu erklären, warum sich denn die Briten aus der EU verabschiedet haben. Ich konnte es nicht. So wenig wie die mir dort bekannten Leute, die allesamt der Meinung waren, ihre Landsleute wären von allen guten Geistern verlassen. Ich lebe halt auch in einer Bubble. Sehr genau dagegen erinnere ich mich an den 24. Juni 2016, als ich morgens noch vor dem Frühstück – natürlich mit Rührei, Toast mit Orangenmarmelade und viel tiefschwarzem Breakfast Tea – im schönen Örtchen Grasmere im nordenglischen Lake District um acht das Radio einschaltete und in der BBC das Ergebnis des Referendums hörte. Schon damals verstand ich es nicht. Da war ich jedoch nicht der Einzige. Nicht einmal profunde Historiker können es erklären.

Volker BerghahnEnglands Brexit und Abschied von der Welt


Ganzer Beitrag ...

Bücher kaufe ich oft nach redaktionellen Besprechungen, wie im Perlentaucher oder nach Empfehlungen der Händler. Manchmal auch nach Klappentexten der Verlage. Für dieses Buch lautet der so:

Warum werden die demokratischen Gesellschaften der westlichen Welt in ihrem Kern immer weiter ausgehöhlt? Wie war es möglich, dass unter dem Firnis der Demokratie Extremismus und Populismus gedeihen? Die beiden weltweit renommierten britischen Ökonomen Paul Collier und John Kay zeigen in ihrem leidenschaftlichen Debattenbuch, wie der Ethos des extremen Individualismus unser Gemeinwesen zerrüttet – nicht nur durch das noch immer vorherrschende Ideal kapitalistischer Gewinnmaximierung und das Trugbild des Homo Oeconomicus, sondern vor allem durch die permanente Ausweitung individueller Rechte zulasten des Gemeinwohls. Sie führen vor, wohin die Gier des Einzelnen führen kann - und was politisch geschehen muss, um das Auseinanderbrechen der Gesellschaft zu verhindern.

Das Problem: Das Buch behandelt dieses Thema zwar am Rande, tatsächlich geht es jedoch um eine ganz andere Sache. Wie nämlich die Zentralisierung in Großbritannien mit dem Oberzentrum London das Auseinanderbrechen dieser Nation herbeiführte. Trotzdem habe ich tapfer bis zur letzten Seite durchgehalten. Zwar blieb der Erkenntnisgewinn bis zum Schluss aus, jedoch habe ich einiges über meine zweite Heimat gelernt.


Ganzer Beitrag ...

Wer noch etwas mit Namen wie Heinrich und Thomas Mann, Käthe Kollwitz, Carl von Ossietzky, Heinrich von Brentano, Berthold Brecht und sogar Gustav Kiepenheuer anfangen kann, für den ist das Buch das richtige. Allen gemein ist, dass sie von den Nazis nach der Machtübernahme mit der Vereidigung Adolf Hitlers als Reichskanzler am 30. Januar 1933 vertrieben, verhaftet oder wenigstens mundtot gemacht wurden. Künstler, Schauspieler, Journalisten und Theaterleute bis hin zu Verlegern und natürlich auch Politiker. Es geht jedoch in diesem Buch nicht um Politiker, die spielen eher eine Nebenrolle, als historische Fakten, Taktgeber oder Zeitgenossen. Wie das verbrecherische Regime ab der Machtübernahme die deutsche Kulturszene umkrempelte, als nur noch den Nazis wohlgefällige oder dienstbare  Geister oder besser gleich Parteimitglieder einen völkischen, antisemitischen und stramm rechten Kurs durchsetzten. Der Februar 1933 war in diesem Trauerspiel ein zentraler Monat, nach den Notverordnungen der Beginn der Horrorjahre bis 1945. Aber Februar 33 ist kein Geschichtsbuch, keine Auflistung von Daten und Geschehnissen, sondern ein Roman. Es geht um die Zeit, als man im Januar Deutschland als demokratische Republik verließ und im März in eine Diktatur zurückkehrte.

Uwe WittstockFebruar 33


Ganzer Beitrag ...

Jürgen Wiebicke ist nicht der Erste, der auf die Idee kam, durch Deutschland zu Fuß zu reisen. Und doch macht er es anders. Kein sportlicher Hintergrund, sondern ein politisch-philosophischer. Nicht durch ganz Deutschland, oder quer durch Deutschland, sondern nur von Köln an den Niederrhein, durch das Münsterland bis nach Ostwestfalen. Er will herausfinden, was dieses Land noch zusammen hält, im so spektakulären Jahr 2015. Dazu erwischt er einen der heißesten Sommer im schweißtreibenden Juli. Das Buch erschien schon 2016, gelesen in einer Neuauflage in 2019. So macht er sich auf den Weg, schaut sich im Land um, spricht Leute an, die ihm auf seinem Weg begegnen, hat jedoch zusätzlich feste Termine, wie mit dem SPD-Urgestein Franz Müntefering, einer Philosophin, einer Künstlerin, einem Pater in einem Kloster, mit einem Museumsleiter in Herne. Es ist keine so ungewöhnliche Reise, ungewöhnlich ist, wie ein Philosoph auf die Dinge schaut. Auf die Dinge, die das Jahr 2015 prägen, die vielen Flüchtlinge, die Krise in Griechenland, die die Eurozone zu sprengen droht, der Aufstieg der AfD, überhaupt die Nervosität in Deutschland. Und wie man es von Jürgen Wiebicke erwarten würde, sind es nicht die Ereignisse auf dieser Reise, die den wirklichen Inhalt des Buches ausmachen. Sondern seine Gedanken dazu, wie es wohl Aristoteles, Marc Aurel oder Sokrates sehen würde. Oder eben Jürgen Wiebicke.

Jürgen WiebickeZu Fuß durch ein nervöses Land


Ganzer Beitrag ...