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Caroline Fourest: Generation Beleidigt

Caroline Fourest: Generation Beleidigt

Die Sicht der Autorin ist eine spezielle. Caroline Fourest ist eine französische feministische Schriftstellerin und Journalistin. Daher öffnet sich ihr Blick auf ihr Thema aus einer künstlerischen Sicht, auf Theater und Film, Literatur und Weltgeschehen. Da gibt es ein Mordsgezeter, weil eine weiße, niederländische Frau ein Gedicht der Amtseinführung des amerikanischen Präsidenten übersetzen soll. Das Original von einer schwarzen Frau geschrieben. Das ginge nicht, weil die Niederländerin ja eben nicht schwarz, sondern weiß sei. Scarlett Johansson wurde abgesprochen, in einem Film eine transsexuelle Person zu spielen, weil sie eben nicht transsexuell sei und weil ihr deshalb das Thema nicht zustehe. Ein weißer Pop-Musiker erntet einen riesigen Shitstorm, weil er zu einer Preisverleihung in einem dem indonesischen Raum zugeordneten Kleidungsstück erscheint. Genauer: einer Hose. Parallel zu den Tiraden vom rechten Rand des politischen Spektrums macht sich eine merkwürdige Identitätspolitik von links breit. Die sich von dem Gerede über Heimat und Identität kaum unterscheidet. Es folgen eine ganze Reihe von konkreten Beispielen, wo jemandem angeblich Dinge nicht zustehen, weil er nicht zu dieser Identität gehört. Eine Uni-Mensa muss vietnamesische Gerichte von der Karte nehmen, weil sie nicht das Original seien. Als wenn nur jemand eine Pizza zubereiten dürfte, wenn er gebürtiger Italiener sei. Der Wahnsinn scheint geradezu Methode zu haben. Doch er weist auf beunruhigende Entwicklungen hin.


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Joachim Bauer: Fühlen, was die Welt fühlt

Joachim Bauer: Fühlen, was die Welt fühlt

Wenn wir nicht zurück kehren zu einer Empathie für die Natur, haben wir keine Chance, den ökologischen Kollaps zu verhindern. Schreibt der Internist, Psychiater und psychosomatische Mediziner Joachim Bauer in seinem Buch Fühlen, was die Welt fühlt aus 2020. Er ist emeritierter Universitätsprofessor an der Universität Freiburg, im Bereich Psychoneuroimmunologie tätig. Mit der Vernunft allein kämen wir nicht weiter, es brauche viel mehr einen „Empathischen Impuls“. Das klingt erst einmal ein wenig esoterisch, aber Bauer ist Wissenschaftler, kein Heiler mit dem Pendel. Jedoch versucht Bauer zu ergründen, warum es so weit gekommen ist, dass der Mensch sich quasi den Ast absägt, auf dem er sitzt. Er führt es auf einen Verlust einer emotionalen Bindung zwischen Mensch und Natur zurück. Entstanden sei dieser Bruch zu einem sehr lange zurück liegenden Zeitpunkt, nämlich mit der neolithischen Revolution, dem Sesshaftwerden des Menschen vor rund 12.000 Jahren. Während der Mensch als Jäger und Sammler in einer holistischen, ganzheitlichen Welt lebte, wurde die Natur mit Ackerbau und Viehzucht zu einem Gebrauchsobjekt. Bei indigenen Völkern, die es zum Glück noch gibt, ist diese Einheit, diese Beziehung zur Natur noch zu finden. Aber warum haben die Menschen sie mit dem Übergang zur Landwirtschaft verloren?


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Maja Göpel: Unsere Welt neu denken

Maja Göpel: Unsere Welt neu denken

Will man ihre Botschaft in einem Satz zusammen fassen, würde der lauten: Wir können so nicht weiter machen. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion hat sich in den letzten 30 Jahren die Welt grundlegend verändert. Der Westen, allen voran die USA, betrachtet sich als Sieger im Wettlauf um die bessere Gesellschaftsform und verhält sich dementsprechend. Die Globalisierung hat Ausmaße angenommen, die vor 30 Jahren noch nicht vorstellbar waren. Unternehmen sind unabhängig von Staaten geworden, sie lassen sich dort nieder, wo der maximale Gewinn lockt. Es geht uns auf der Nordhalbkugel richtig gut. Aber das Wohlstandsmodell hat seinen Preis, Umweltschäden und Klimawandel bedrohen unsere Zukunft, Demokratien drohen zu zerfallen. Doch „der Markt“ und die Politik verkünden immer nur eine Richtung. Weiter machen wie bisher, bloß nichts verändern, bloß nicht verzichten. Stattdessen immer mehr, niemals weniger. Jedes sechste online gekaufte Paket geht zurück. Scheinbar kostenlos. Auch wenn es die kleinen Anbieter ruiniert. Scheinbar, weil niemand die Energie und Arbeit für den Rücktransport einrechnet. Vom zusätzlichen CO2 ganz zu schweigen. Wie bei den billigen Flugtickets, um den entstehenden Müll soll sich jemand anders kümmern. Das nennt man externalisierte Kosten.

Maja Göpel ist Politökonomin, Transformationsforscherin und Nachhaltigkeitswissenschaftlerin. Wissenschaftliche Direktorin der 2020 in Hamburg gegründeten Denkfabrik The New Institute. Hat eine Honorarprofessur an der Leuphana Universität Lüneburg. Ihr Buch Unsere Welt neu denken gibt es schon länger, bei mir ist es in der Auflage von 2021 gelandet, wohl weitgehend gegenüber früheren Auflagen überarbeitet. Es ist eine radikale Abrechnung mit einem ausufernden Lebensstil, der die Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten zwischen arm und reich, globalem Norden und Süden, Umwelt und Konsum nur weiter verstärkt. Statt zu einem nachhaltigen Wirtschaften zu kommen, Umwelt und Gesellschaft zu schonen, wird der Wahnsinn des westlichen Verbrauchs an Ressourcen nur immer weiter gesteigert. Diese Erkenntnis ist nicht neu, aber Maja Göpel setzt die Zusammenhänge neu zusammen. Und fordert ein radikales Umdenken.


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Gabriele Krone-Schmalz: Respekt geht anders

Gabriele Krone-Schmalz: Respekt geht anders

Ihre Frisur ist vielleicht nicht ganz so spektakulär wie die von Sascha Lobo, aber ebenfalls von hohem Wiedererkennungswert. Aber nicht nur deshalb ist Gabriele Krone-Schmalz, Historikerin,  hauptsächlich unterwegs als Journalistin und Publizistin, so bekannt. Lange Zeit war sie Moskau-Korrespondentin der ARD. Man kann sie als wirkliche Russland-Versteherin bezeichnen, im positiven Sinne, war sie doch die Erste, die Michael Gorbatschow für deutsche Medien interviewte. Seit 2011 ist sie Professorin für Fernsehen und Journalistik an der University of Applied Sciences Europe in Iserlohn. Für mich gehört sie zu den beachtenswerten und ernsthaften Medienschaffenden, vertraut ist sie mir fast seit meiner Kindheit. Nun hat sie in 2021 dieses Buch geschrieben, der Buchbeschreibung des Verlages und dem Klappentext nach geht um den aktuellen Zustand der deutschen Gesellschaft, um die breit vorherrschende Respektlosigkeit, die Zerrissenheit der deutschen Bevölkerung und den Verlust der Fähigkeit zum Diskurs. Um eine Gesellschaft, deren Bürger die höchsten individuellen Freiheiten wie Sicherheiten genießen und trotzdem von einer Merkel-Diktatur faselnd durch die Großstädte ziehen. Doch ich würde das Buch noch etwas anders lesen: Als mahnenden Ruf einer gestandenen Journalistin an die Medienschaffenden dieser Zeit. So denn nur interessant für Journalisten? Nicht wirklich. Wie immer hat das, was sie sagt, Hand und Fuß.


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Pörksen/Narr: Schöne digitale Welt

Pörksen/Narr: Schöne digitale Welt

Seit ich meine Bücher nicht mehr beim großen A bestelle, sondern im Online-Shop der kleinen Buchhandlung in der nahen Kleinstadt, nutze ich auch die Möglichkeit, bestimmten Autoren zu folgen. Damit ich ihre neusten Veröffentlichungen mitbekomme. So sah ich auch Ende 2020 das neue Buch von Bernhard Pörksen, Schöne digitale Welt, was es direkt auf die Wunschliste des Online-Shops brachte. Erst beim Abholen wurde klar, dass Pörksen und Narr nur Herausgeber waren, nicht Autoren in eigentlichen Sinne. Stattdessen ist das Buch eine Zusammenstellung von Reden und Essays diverser wohlbekannter Leute, zuvorderst für mich Sascha Lobo, Ranga Yogeshwar und Miriam Meckel. Also keine neuen Gedanken des Medienwissenschaftlers Bernhard Pörksen, der den Begriff der Erregungsgesellschaft geprägt hat, sondern die von Leuten, denen bei der Betrachtung der aktuellen Gesellschaftslage einige Kompetenz zugesprochen werden kann. Spoiler vorweg: keine brandneuen Erkenntnisse, keine Lösung der dringendsten Fragen und Schwierigkeiten. Aber dafür eine breit angelegte Zusammenfassung des Status Quo. Was auch keine leichte Aufgabe ist.


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Michael Winterhoff: Mythos Überforderung

Michael Winterhoff: Mythos Überforderung

Nach den ersten Seiten hatte ich die Befürchtung, zu einem Ratgeber gegriffen zu haben. Was sich spätestens ab der vierten oder fünften Seite erledigte. Hätte ich mir bei Michael Winterhoff, einem der bekanntesten Kinder- und Jugendpsychiater und Psychotherapeuten, auch nicht vorstellen können. Schließlich hatte ich mir das Buch ja nicht wegen eines eigenen Gefühls gekauft, sondern wegen des Klappentextes. Was ist dran, an der breit gestreuten Ermüdung und Überforderung, dem Gefühl des Dauerstresses, der zunehmenden Zahl an diagnostizierten Burnouts und der Ruhelosigkeit? Und was ist dran an den Klagen von Lehr- und Kindergartenpersonal über Helikoptereltern, völlig überzogene Forderungen an Schule und KiTa? Als gut beschäftigter Psychiater, der diese Kinder, und natürlich deren Eltern, tagtäglich in seiner Praxis hat, sollte er etwas dazu sagen können, ob sich die Rollen zwischen Eltern und Kindern so stark geändert haben. Beobachten kann ich es selbst, wenn die engen Straßen in meinem Dorf kurz vor acht komplett verstopft sind, weil Horden von Eltern ihre fast zehnjährigen Kinder mit riesigen SUVs fast noch mittig auf dem Schulhof abliefern. Da hat sich schon etwas verändert, doch die Palette an Veränderung ist breit, weshalb Winterhoffs Analysen nicht gerade einfach sind. Und seine Ratschläge für Abhilfe werden einige Leser enttäuschen.


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Erik Schilling: Authentizität

Erik Schilling: Authentizität

Bis in die achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts hatte der Begriff des Authentischen fast nur eine Bedeutung in Kunst und Wissenschaft. Ein Werk oder ein Dokument war authentisch, wenn es zuverlässig einem Erschaffer zuzuordnen war oder seine Herkunft und seine Rolle in der Zeit geklärt. Mit dem beginnenden 21. Jahrhundert fing man an, auch Menschen das Attribut authentisch zu geben. Was sagen sollte, dass jemand in seinem Handeln oder Sprechen seinem eigentlichen Wesen entsprach. Ein weiterer Megatrend nach Offenheit, Diskursfähigkeit oder Toleranz, auch, aber nicht nur im linksliberalen Spektrum. Der Literaturwissenschaftler Erik Schilling von der Ludwig-Maximilians-Universität in München hat ein Buch über die Authentizität geschrieben, über diesen positiven und wohlwollenden Begriff. Inzwischen treibt der Gebrauch des Wortes seltsame Blüten, Hersteller von Trekkingbekleidung bezeichnen ihre Hosen und T-Shirts als authentisch. Spätestens hier wird deutlich, dass mit dieser Vokabel irgendetwas nicht stimmt. Denn Bekleidung hat wohl kaum ein eigenes Wesen, das repräsentiert werden soll. Deshalb stellt Schilling fünf Thesen zur Authentizität auf und arbeitet sich in seinem Buch daran entlang. Am Ende wird klar, dass es sich bei der Authentizität genau so wie bei der Individualität oder der Identität, mit der Leute hausieren gehen, um eine Worthülse handelt. Ein Narrativ ohne Inhalt. Alle wollen authentisch sein, aber keiner kann sagen was das ist. Dabei zerlegt Schilling nicht nur dieses Unwort, sondern gleich noch den Zeitgeist dieser Tage.


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Michel Winterhoff: Deutschland VERDUMMT

Michel Winterhoff: Deutschland VERDUMMT

8. März 2021, die Buchhandlungen öffnen wieder. Also auf nach Salzkotten und die Buchhandlung Meschede mal persönlich in Augenschein nehmen. Leider kaum Sachbücher im Angebot, nur Romane und Reiseliteratur, also werde ich bestellen und abholen müssen. Doch ein Buch fiel mir auf. Leider erinnerte mich der Titel an ein unsägliches Werk eines rechtspopulistischen Autors, doch nachdem ich den Autor dieses Buches und den Untertitel sah, nahm ich das Buch doch mit. Von Michael Winterhoff habe ich schon einige Bücher gelesen, deutscher Kinder- und Jugendpsychiater, Psychotherapeut und Autor. In seinem neusten Buch aus 2021 setzt er sich mit dem deutschen Schulwesen auseinander. Natürlich nicht als eingebildeter Pädagoge, sondern aus seiner Sicht als Psychiater und Psychotherapeut. Hobby-Virologen und eingebildete Wissenschaftler haben wir zur Zeit schon genug. Und er tut das genau so wie in seinen früheren Büchern auf Basis seiner Erfahrungen und seinem Wissen über Kinder und ihre psychische Entwicklung, aus seinen Tätigkeiten als Berater in Politik und Wirtschaft. Zwar bin auch ich kein Pädagoge, aber als Nachhilfelehrer schon mit den Merkwürdigkeiten und Eigenheiten des aktuellen Nachwuchses konfrontiert. In gewisser Weise hat mich Winterhoff beruhigt, dass ich mit meiner Wahrnehmung nicht alleine da stehe. Weniger beruhigt hat mich der Zustand unseres Bildungssystems. Das er treffend und klar analysiert.


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Gerd Gigerenzer: Bauchentscheidungen

Gerd Gigerenzer: Bauchentscheidungen

Als im Sommer 2020 absehbar wurde, dass ich von meinem Job die Nase voll hatte und zum Jahreswechsel Rente beantragen würde, kam schnell ein Gedanke auf. Nämlich der, Niedersachsen wieder zu verlassen und in meine alte Heimat Ostwestfalen zurück zu kehren. So klebte ich zwei DIN A4-Blätter zusammen, bildete eine Matrix aus Argumenten wie kulturelles Angebot, Freizeitmöglichkeiten, Wandermöglichkeiten, Kontakt zu Freunden und Familie, Mietspiegel und vieles mehr. Nachdem eine lange Liste zusammen gekommen war, die jeweiligen Aspekte sortiert und bewertet waren, saß ich eher hilflos vor der Sammlung. Irgendwie spiegelte diese Aktion nicht wirklich das wider, worum es mir ging. So knüllte ich das Papier zusammen, warf es in den Papierkorb und setzte in ImmobilienScout24.de eine Suchanzeige nach Mietwohnungen in der Umgebung von Paderborn auf. Was hatte die Entscheidung nun tatsächlich zu Stande gebracht?

Gerd GigerenzerBauchentscheidungen


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Erwin Grosche: Padermann

Erwin Grosche: Padermann

Nicht-Paderborner brauchen sich dieses Buch nicht zu kaufen, denn sie verstehen die meisten Geschichten nicht. Das ist wie das Prime Time Theater im Wedding, wenn man die sozialen Unterschiede zwischen Charlottenburg und Wedding und Lichtenhain nicht kennt, gehen die meisten Jokes an einem vorbei. Denn Erwin Grosche verwendet in seinen Büchern Dinge, die so nur der Paderborner kennt, sei es die große Gitarre am Laden von Herbert Schallenberg, oder die Namen der sechs Paderquellen (obwohl ich der Fraktion angehöre, die die Augenquelle dazu zählen würde), oder den Bioladen an der Nordstraße. Grosche ist Heimatdichter im reinen Sinne. Seine Geschichten handeln von den Dingen, die in Paderborn wichtig sind. Oder wichtig sein könnten.


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Klaus Kordon/Erich Kästner

Klaus Kordon/Erich Kästner

Alle Gegenwehr gegen die schöngeistige Literatur hilft am Ende nichts, wenn man ein Buch in die Hand gedrückt bekommt und dann am Ende die Neugier überwiegt. Weil mir dieser Autor schon so oft untergekommen ist, weil ich sein Museum und sein Denkmal in der Dresdener Neustadt am Albertplatz so oft gesehen habe. Erich Kästner, wohl einer der bekanntesten Autoren der deutschen Geschichte. Emil und die Detektive, Pünktchen und Anton, eigentlich waren mir eher die Kinderbücher von Kästner geläufig. Offen gestanden wusste ich über Kästner eigentlich nicht wirklich etwas. Klaus Kordon ist eigentlich selbst Schriftsteller im Bereich der Kinder- und Jugendliteratur. Er hat aber ebenso die Kästner-Biografie Die Zeit ist kaputt geschrieben, in der ich zum ersten Mal etwas über Erich Kästner in Details erfuhr. Kordons Darstellung Kästners ist deshalb so interessant, weil Kordon aus einer wohl überlegten Sicht an die Person Kästners heran geht. Er bleibt einerseits in einer gewissen Distanz zu diesem Sachsen, schildert aber sein Leben in einem ausbalancierten Mix aus geschichtlichen und persönlichen Stichpunkten. Er zeichnet dieses Bild von Kästner, der oft geradezu angefeindet wurde, weil er nicht in die Emigration flüchtete, ja sogar selbst zuschaute, als sein Bücher von den Nazis verbrannt wurden, neutral und zugleich mit Anerkennung.


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Thilo Bode: Die Essensfälscher

Thilo Bode: Die Essensfälscher

Noch ein Buch übers Essen. Also etwas Ähnliches wie dieses hier, aber aus einer anderen Perspektive. Was macht man, wenn ein Markt völlig gesättigt ist, wie steigert man trotzdem noch seine Umsätze? Das erste Semester in Marketing lehrt als Antwort, dass man dem Mitbewerb Kunden abspenstig machen muss. Oder neue Märkte schaffen. Genau so machen das Nestlé, PepsiCo oder Dr. Oetker. Davon, wie die Lebensmittelkonzerne ihre Umsätze immer noch steigern, dazu den Verbraucher täuschen und belügen, schummeln und tricksen, darum geht es im Buch von Thilo Bode, Mitbegründer der Organisation foodwatch. Ganz neu ist das Buch nicht, es stammt aus 2010, doch die Methoden der Essensfälscher sind immer noch die gleichen, leider. Mit solchen zuständigen Leuten wie Julia Klöckner, aktuell Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, die es schafft, alle Veränderungen zugunsten der Konsumenten zu verhindern, wird das noch lange so bleiben. Die erfolgreich unterstützt, dass uns die Lebensmittelproduzenten mit noch mehr Zucker, noch mehr Aromen und Geschmacksverstärkern bei der Stange halten. Genau gegen diese offene und versteckte Lobby schreibt Thilo Bode an. Man kann es plakativ nennen, oder ehrlich.


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Massimo Montanari: Spaghetti al pomodoro

Massimo Montanari: Spaghetti al pomodoro

Auch ein Buch übers Essen. Aber nur über ein ganz spezielles, dessen großer Fan ich bin. Inzwischen habe ich selbst so ganz unterschiedliche Rezepte, doch dieses Büchlein ist kein Rezeptbuch. Darauf gestoßen bin ich im Spiegel, der dem Buch einen Artikel widmete. Es geht nämlich nicht um das Rezept, oder die Rezepte, sondern um die Geschichte dieser beliebten italienischen Nationalspeise. Massimo Montanari unterrichtet Geschichte des Mittelalters an der Universität von Bologna, wo er den Studiengang ››Geschichte und Kultur der Ernährung‹‹ leitet. Der Historiker gilt als hervorragender Spezialist für europäische Ernährungsgeschichte.

Es beginnt mit der Frage, woher die Nudel eigentlich stammt. Entgegen der oft gepflegten Behauptung, Nudeln kämen ursprünglich aus China, liegt ihre Herkunft viel näher, nämlich im Nahen Osten. Die Tomate, und damit die Grundlage für die Sauce, steuerten die Spanier bei, aus ihren Besuchen im Süden des amerikanischen Kontinents. Zuerst war eine Sauce aus oder mit Tomaten gar nicht für die Nudel zuständig, sondern nur eine der vielen Saucen, die in Italien geradezu zwingend zu einem Gericht gehörten. Erst mehr zufällig kamen Pasta und Tomatensauce zusammen. Und das erst sehr spät, nämlich im 19. Jahrhundert.

Das alles in vielen Details und wohl fundiert. Kein neues Rezept, sondern neue Erkenntnisse sind der Zweck des Buches. Lesenswert, lustig, überraschend.

Maccheroni, Tagliatelle, Vermicelli … der große Historiker der europäischen Ernährungsgeschichte hat mit »gusto« ein kleines Meisterwerk über die Mutter aller italienischen Gerichte verfasst. Gibt es etwas, das typischer italienisch ist als Spaghetti al pomodoro? Elegant und aus seinem großen Forschungswissen schöpfend erzählt Massimo Montanari die Geschichte dieses Gerichts und räumt dabei mit all den kursierenden Halbwahrheiten und Vorurteilen auf. Wir erfahren, wie die Pasta als Variante des orientalischen Fladenbrots entstand, wie die Araber einen neuen Typ aus Hartweizen verbreiteten und in Sizilien schon im 12. Jahrhundert industrielle Fertigung eingeführt wurde (kein bisschen handgemacht von der Mamma). Und dass die getrocknete Pasta zwei Stunden gekocht wurde (von »al dente« keine Rede). Pfeffer und Hartkäse kommen ins Spiel, Tomaten in Form der »spanischen Sauce« auf den Teller, die Gabel auf den Tisch. Die Raffinesse zieht ein mit Peperoncino, Knoblauch und Zwiebel, die Farbe mit dem Basilikum. Und natürlich geht es auch ums Olivenöl – von dem jeder gern behauptet, das beste komme aus seiner Gegend. Montanari zeigt, wie das Lob des Herkunftsgebiets zu Intoleranz und Fanatismus führt und die Ursprünge der Pasta mystifiziert werden. Eine leicht genießbare, aber gehaltvolle und unterhaltsame Lektüre. Und die Ursprünge der Pasta in China? Fake news! (Klappentext Verlag Klaus Wagenbach)

Manfred Kriener: Leckerland ist abgebrannt

Manfred Kriener: Leckerland ist abgebrannt

Ich habe mich immer für einen kritischen Esser und Verbraucher gehalten. Aber dieses Buch hat mir noch einmal gezeigt, dass mein Wissen über Lebensmittel und Essen überhaupt noch lange nicht belastbar ist. Eigentlich kenne ich Manfred Kriener aus einer anderen Ecke, nämlich als Gründer der Tageszeitung taz. Beschäftigt sich vor allem mit Umwelt und Umweltpolitik wie auch mit Ernährungsthemen. Dieses Buch aus 2020 will aber nicht der nächste Ratgeber sein, der uns sagt, was wir noch essen dürfen und was nicht, was gut und was falsch ist. Kriener will Wissen über unser Essen vermitteln, wo es herkommt, wie es entsteht, welche Wirkungen es hat, dass wir Produkte nutzen oder nicht. Moralische Aspekte im Sinne der Biogeneration bleiben außen vor. Stattdessen geht es um Fakten, Daten und Informationen. Man weiß bei vielen Dingen nicht, was einem da aufgetischt wird. Das will Kriener ändern, das schafft er sogar unterhaltsam. Trotzdem vergeht einem manchmal der Appetit. Nur wegen der Faktenlage.

Manfred KrienerLeckerland ist angebrannt


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Bill Bryson: Eine kurze Geschichte des menschlichen Körpers

Bill Bryson: Eine kurze Geschichte des menschlichen Körpers

Beinahe hätte ich gedacht, ich hätte seine Masche durchblickt. Man sammle Unmengen unglaublicher Fakten, mische sie mit Sprachwitz, Humor und Charme und fertig ist ein typisches "Eine kurze Geschichte ..."-Bryson-Buch. Aber so einfach ist die Sache nicht. So einfach schreibt man keine Bücher, die ein Leser ungern vor dem bitteren Ende aus der Hand gibt. Sein erstes Buch für mich war seine Reise durch seine Wahlheimat Großbritannien. Seitdem stehen alle deutschen und auch einige englische Ausgaben seiner Bücher in meinem Regal.  Bill Bryson, 1951 in Des Moines in Iowa geboren, zog 1977 nach Großbritannien und schrieb dort mehrere Jahre für die Times und den Independent. Aber erst mit seinem Buch Reif für die Insel gelang Bill Bryson der Durchbruch. Heute ist er in England der erfolgreichste Sachbuchautor der Gegenwart.

Aber nicht nur, er war von 2005 bis Ende 2011 Kanzler der britischen University of Durham, die ihm dann die Ehrendoktorwürde verlieh. Dieses letzte Buch von ihm erschien 2019, noch vor der Corona-Krise. Eigentlich schade, denn Bryson hätte sicher dieser Geschichte auch noch ganz andere Seiten abgewonnen. Aber was ist dann der Kniff, was macht ihn so erfolgreich?


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Benjamin Maack: Wenn das noch geht kann es nicht so schlimm sein

Benjamin Maack: Wenn das noch geht kann es nicht so schlimm sein

Ein Tagebuch? Irgendwie. Gefunden in der Zeitschrift Psychologie Heute. An die Rezension kann ich mich nicht so recht erinnern, aber wenigstens interessierte mich das Buch nach dem Klappentext. Der Inhalt ist leicht wiederzugeben: Der Autor dokumentiert seine zweite Zeit in der Depression in einer psychatrischen Klinik, und die Zeit davor, als er versucht, mit der Krankheit alleine zurecht zu kommen. Einerseits fand ich sein Ansinnen sehr achtenswert, als doch recht bekannter und ausgezeichneter Journalist und Autor sich zu seiner Erkrankung zu bekennen. Maack hat immerhin neben weiteren Auszeichnungen den Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb 2013 und den Förderpreis zum Hermann-Hesse-Preis 2016 bekommen. Danach habe ich vermutet, dass Maack Menschen, die von dieser Krankheit nicht betroffen sind, näher zu bringen versucht, wie sich diese Krankheit anfühlt, was sie mit einem macht. Leider erreicht er sein Ziel nur sehr eingeschränkt. Nicht, weil er ein schlechter Autor ist, sondern weil man an dieser Stelle eigentlich nur scheitern kann.


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Volker Ullrich: Acht Tage im Mai

Volker Ullrich: Acht Tage im Mai

Dass Geschichte mehr ist als das sture Auswendiglernen von Zahlen und Fakten in der Schule, habe ich zum ersten Mal mit Golo Manns Buch Die Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts erlebt. Nicht ganz so umfangreich, aber ähnlich faszinierend ist Volker Ullrichs Buch Acht Tage im Mai. Gebürtig aus Celle, nur einige Kilometer von meinem Schreibtisch entfernt, studierte er Geschichte, Literaturwissenschaft, Philosophie und Pädagogik an der Universität Hamburg, arbeitete von 1966 bis 1969 am Historischen Seminar. Von 1990 bis 2009 leitete Ullrich das Ressort „Politisches Buch“ bei der Wochenzeitung Die Zeit. Ist als Rezensent für viele Medien tätig, verfasst er auch öfters das Kalenderblatt des Deutschlandfunks. Inzwischen Ehrendoktor der Philosophischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Also auf jeden Fall profunder Historiker, dem das Thema Drittes Reich und Hitlerdiktatur nahe liegt. In diesem Buch geht es konkret um die Zeit vom 1. bis zum 8. Mai 1945, als die geplanten tausend Jahre eines Reiches schon nach zwölfen wieder endeten. Aber wie spannt man mit acht Tagen eine nicht gerade schmale Geschichte auf? Indem man jeden dieser Tage in Relation zu der Vorschichte und den Konsequenzen setzt. Und das macht den Reiz dieses Buches aus.


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Robert Habeck: Wer wir sein könnten

Robert Habeck: Wer wir sein könnten

Dem Grünen-Vorsitzenden Robert Habeck sagt man eine verständliche und klare Sprache nach. Was zu seinen früheren Studienfächern Philosophie, Germanistik und Philologie passt, gerade die Philosophie hat sich lange und intensiv damit auseinander gesetzt, welche Wechselwirkung Sprache und die Welt haben. Wenn nun Politiker Bücher über Sprache schreiben, macht mich das immer neugierig, in diesem Fall ist der Aufwand dazu überschaubar, denn das Buch ist ein schmales Werk. Trotzdem ist der Anspruch aus meiner Sicht groß und wichtig, denn der Untertitel lautet schließlich Warum unsere Demokratie eine offene und vielfältige Sprache braucht. Nebenbei wollte ich einfach ein wenig mehr darüber erfahren, wie Robert Habeck so tickt, gilt er doch als einer der bodenständigen Politiker. Das bekommt man tatsächlich mit, seine politischen Positionen sind keine Pose, seine Beiträge kein Image-Getue. Dazu liefert Habeck schon wichtige Gedanken zur politischen Sprache. Und wie Sprache die Wirklichkeit erst schafft.


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Bernhard Pörksen/Friedemann Schulz von Thun: Die Kunst des Miteinander-Redens

Bernhard Pörksen/Friedemann Schulz von Thun: Die Kunst des Miteinander-Redens

Beide, Bernhard Pörksen, Medienwissenschaftler an der Uni Tübingen, und Friedemann Schulz von Thun, einer der wichtigsten Kommunikationspsychologen im deutschsprachigen Raum, gehören zu meinen Lieblings-Autoren. So kam das 2020 erschienene Buch sofort auf die Leseliste. Beide haben in ihren jeweiligen Fachgebieten wesentliche Beiträge geliefert. Pörksen zu den aktuellen, besonders digitalen Medien. Er hat auch den Begriff der Erregungsgesellschaft geprägt, in der heute Menschen nur noch mit digitalen Medien beschäftigt sind, immer auf der Suche nach dem nächsten Kick, der nächsten Empörung und dem nächsten Skandal. Eigentlich etwas konträr dazu hat Friedemann Schulz von Thun die analoge Kommunikation zwischen Menschen untersucht. Dazu hat er mehrere Bücher veröffentlicht, wie zum Beispiel das dreibändige Werk Miteinander reden, in dem er Methoden wie das Vier-Ohren-Modell und das Kommunikations-Quadrat verwendet.

Im Vergleich zu anderen Büchern, gerade in diesem Themenbereich, ist das Buch keine Analyse oder Beschreibung von Erfahrungen, sondern eine Zusammenfassung von Gesprächen zwischen Pörksen und von Thun seit 2014. Initiert hatte die Gespräche Pörksen, mit dem Ziel medienwissenschaftliche und kommunikationspsychologische Perspektiven zusammen zu führen. Um daraus Erkenntnisse zu gewinnen, die jedes einzelne Gebiet eben nicht gewinnen konnte. Das Ergebnis ist eine sehr interessante Sicht auf digitale Medien, die Veränderung von Kommunikation über die Zeit, nicht zuletzt bis hin zu einem Verständnis, warum pöbelnde und lügende Politiker trotzdem so viel Aufmerksamkeit und Zustimmung erhalten.


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Richard David Precht: Sei du selbst

Richard David Precht: Sei du selbst

Zuerst war ich mir nicht ganz sicher, ob ich mir den dritten Band antue. Schon weil es mich quasi zum vierten Band verpflichtet. Ein bevorstehender Urlaub hat mich dann doch ermuntert, mich weiter mit der Geschichte der Philosophie, aber auch der Naturwissenschaften und der sich nun abspaltenden Themen zu beschäftigen. Der Autor: Richard David Precht, Medien-, Sofa- und Zeitabschnitts-Philosoph, wie ich ihn nenne. Sein am Ende vierbändiges Werk: Eine Geschichte der Philosophie.

Ging es im ersten Band um die Philosophie des Altertums bis zur Grenze zum Mittelalter, schildert der zweite Band den Abschnitt bis in die beginnende Neuzeit. In diesem nun dritten Buch geht es weiter ab Ende des 18. Jahrhunderts bis in das 20. Jahrhundert hinein. Damit stehen hier vertrautere Namen im Vordergrund. William Godwin, Charles Fourier, Arthur Schopenhauer, John Stuart Mill, Søren Kierkegaard, Karl Marx, Friedrich Nietzsche, Sigmund Freud mehr am Rande, der immer noch erstaunlich aktuelle Georg Simmel, Max Weber. Das vor dem Hintergrund der rasanten Veränderungen in der industriellen Technologie, dem Aufstieg der Naturwissenschaften und den sich abzeichnenden politischen Entwicklungen. Damit war zu erwarten, dass es ab nun etwas schwieriger wird, jedenfalls für Nichtphilosophen. Und diese Erwartung traf dann glatt ein.


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