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Anne Applebaum ist hier zu Lande eher unbekannt. Sie schreibt überwiegend für US-amerikanische und britische Medien, früher, vor der Ausschaltung des unabhängigen Journalismus in Polen, auch für polnische Zeitungen. Nicht nur durch ihre Anerkennung als Journalistin, sondern auch durch ihren Ehemann, den früheren polnischen Außenminister Radek Sikorski, hat sie ihren eigenen Zugang zu amerikanischen und britischen Persönlichkeiten und Politikern. So ist ihr Buch eher eine journalistische Arbeit, wenn auch mit historischen Details und Themen belegt. Anne Applebaum hat die politischen Veränderungen in Polen selbst erlebt, wie sich enge Freunde von einer konservativ-liberalen Haltung zur Befürwortung von Nationalismus und autoritären Positionen wandten. Doch diese Veränderungen sind keine einzelne Entwicklung in Polen. Ob Ungarn und Orban, Spanien und die Vox, die USA mit der Alt-Right-Bewegung, an vielen Stellen wenden sich Menschen von den Grundprinzipien der Demokratie ab. Stattdessen wird Verschwörungsmythen, platten Lügen und Halbwahrheiten gefolgt. Diese Positionen seien keine Entwicklung der Neuzeit, sie seien schon im 19. Jahrhundert weit verbreitet gewesen. Ist also mal wieder das Internet schuldig, sind Facebook und Twitter, Telegram und YouTube die Verantwortlichen? Ganz so einfach sei die Sache nicht, aber wie immer ist darin ein Körnchen Wahrheit enthalten.


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Gegner der Corona-Maßnahmen und Corona-Leugner aus der sogenannten bürgerlichen Mitte, Reichsbürger und Rechtsradikale sowie AfD-Leute und andere Rechtspopulisten marschieren einträchtig durch deutsche Städte, um ihren Protest zu artikulieren. Wenn nicht gar das Ende dieses Staates auszurufen. Dazwischen sieht man blaue Flaggen mit der Friedenstaube und sogar Regenbogen-Flaggen. Sowie Springerstiefel und die vertrauten Latzhosen aus der Öko-Bewegung. Was zuerst ungläubiges Erstaunen hervor ruft, drängt auf den zweiten Blick nach Erklärungen. Sind es nur gemeinsame Feindbilder und Anliegen? Ist es Ignoranz oder Unwissen, politisch wie sozial? Der Sozialökonom und freie Journalist Andreas Speit hat andere Erkenntnisse. Zwar tendiert man zuerst zu dem Glauben, Verschwörungstheorien und esoterische Weltsichten wären nur auf die jeweiligen dort verorteten Gruppen beschränkt. Doch schaut man mit Speits Blick ein wenig hinter die Kulissen und nimmt sich die Geschichte und Herkunft dieser Gruppen vor, sogar aus dem linken politischen Spektrum, wird Seltsames offenbar. Verschwörungstheorien, Antisemitismus, Rassismus und Esoterik ziehen sich wie ein roter Faden durch Bevölkerungsteile, wo man es nicht vermuten würde. Was sie eint, ist nicht die Ratio, sondern die Emotion.


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Lange Zeit haben wir an den Fortschritt geglaubt. Dieser Fortschritt  liegt in den Städten, im Urbanen, wohin es weltweit immer mehr Menschen zieht. Stadt steht für Kultur und Konsum, für Abwechslung und Anregung. Das Dorf dagegen gilt als langweilig, beschränkt und rückständig. Diese Stereotypen stimmen schon lange nicht mehr, hier auf den Feldern fahren moderne Trecker selbstständig, GPS-gesteuert, der Bauer sitzt zuhause am Rechner und pflegt seine Statistiken über Futterzuteilung und macht Videokonferenz, vor meiner Haustür in dieser 2.300 Seelen-Gemeinde im Paderborner Land liegt Glasfaser. Aber das ist es nicht genau, worauf Ernst Paul Dörfler hinaus will. Die Stadt steht auch für Enge und Verdichtung, erzwungene Nähe, Dreck, Lärm und Luftverschmutzung. Acht von zehn Kindern in der Stadt halten das Bild einer Gans für das einer Ente. Dörfler, nomen est omen, ist auf einem kleinen Dorf in der früheren DDR aufgewachsen. Seine Eltern hatten einen kleinen Hof, er wuchs noch in den Wäldern und Feldern zwischen den Höfen auf, war den weiten Blick in die Landschaft gewohnt. Aber auch den Schulweg zehn Kilometer zum nächsten Gymnasium, im Sommer wie im tiefsten Winter. Zum Studium trieb es ihn in die Großstadt, wo er es nicht lange aushielt und auf das ach so öde Land zurück kehrte. Sein Buch ist ein Plädoyer für das Leben auf dem Land, in Kontakt mit der Natur und abseits des Zwangs zum Konsum.

Ernst Paul DörflerAufs Land


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Noch ein Buch über die deutsche Wiedervereinigung. Obwohl man denkt, dass die Zahl dieser Bücher inzwischen kaum noch zu überschauen ist, habe ich mich auch wegen des schmalen Formats daran gewagt. Stimmt, es geht wieder um die Schwierigkeit, im wiedervereinigten Deutschland zu einer inneren Einheit zu kommen. Über die Ressentiments, über Demokratieverdrossenheit und all das, was in der Wiedervereinigung schlecht gelaufen ist. Während sich viele andere Bücher auf die wirtschaftlichen und politischen Aspekte fokussieren, widmen sich Böick und Lorke jedoch mehr den gesellschaftlichen, kulturellen und mentalen Verläufen seit 1989. Damit kommen sie zu aktuellen Fragen, über deren Relevanz bis ins Jahr 2022 man sich wundern muss. Woher stammt die immer noch weit verbreitete Wut, Enttäuschung und gefühlte Entwürdigung in den neuen Bundesländern, die bis in demokratiefeindliche Randbereiche führt? Es seien eben nicht nur die niedrigeren Löhne und Renten, die verlorenen Arbeitsplätze und abgebrochenen Lebensgeschichten allein, schreiben die Autoren. Es sei halt von Anfang an verbockt gewesen, durch falsche Versprechungen, schädlichen Pragmatismus und, leider eben auch, durch die besserwisserische und arrogante Art und Weise der Westdeutschen verursacht. Auch das nichts wirklich Neues, doch das Buch schafft eine ganz konzentrierte Auseinandersetzung, ohne sich in endlose Analysen und Statistiken zu verlieren. Deshalb lohnt es,  sich die gerade mal 120 Seiten anzutun.

Marcus Böick/Christoph LorkeZwischen Aufschwung und Anpassung


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Wenn man von einem Nerd spricht, ist damit meistens der Computer-Nerd gemeint. Man stellt sich einen jungen Mann mit dicken Brillengläsern vor, unattraktiv, sozial unverträglich, etwas seltsam gekleidet, der sich überwiegend von Tiefkühlpizza und Coca Cola ernährt. Am Arbeitstisch, weil er den geliebten Mittelpunkt seines Lebens, seinen Computer, nicht einmal zur Nahrungsaufnahme verlassen will. Gleichzeitig ist er ein Wissender, ein Spezialist, der so viel weiß über Computer wie nur wenige. Sei es als "Coder" oder als "Gamer". Diese Sozialfigur, die bei uns in den Achtzigern und Neunzigern bekannt wurde, existiert tatsächlich nicht mehr. Computer sind keine Angelegenheit für wenige Experten mehr, die Beschäftigung mit ihnen findet nicht mehr in muffigen Kellern oder ausgedienten Dachzimmern statt. Trotzdem hält sich dieses Bild. Was aber dieses Bild repräsentiert, wie es entstanden ist und wie es sich verändert hat, untersucht Annekathrin Kohout in diesem Buch sehr eingehend. Wie so viele Sozialfiguren entstand der Nerd, lange bevor der Begriff in Europa gängig wurde, in den USA. Doch die Vorläufer des Nerds waren Stereotypen, die sich weit vor dem Auftauchen des Personal Computers ausbildeten. Was später der Nerd wurde, war zuvor in den USA der Square, ein Spießer, Unflexibler, Vorgestriger. So wäre das Buch ziemlich uninteressant, wenn es nur um diesen Computer-Freak ginge. Stattdessen untersucht Kohout weitere Aspekte soziokultureller Entwicklungen im 20. Jahrhundert. Wie sich Rollenbilder überhaupt entwickelten, wie sich Zuschreibungen veränderten, wie sich Technologie vom Expertenwissen zum Alltagswissen veränderte. Erst mit dieser erweiterten Interpretation bekommt das Buch einen Reiz. Wenn man sich für Kulturwissenschaften interessiert.


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Es ist kein Roman, da nicht tatsächlich fiktiv. Es ist auch kein Sachbuch, denn es geht um die ganz persönlichen Erfahrungen des Autors. Eine Reportage auch nicht, denn Hendrik Bolz sagt im Vorwort zu diesem Buch: "Dieses Buch berichtet aus einer Welt, von der man schwer erzählen kann, ohne den Rassismus, den Antisemitismus, die Misogynie, die Homophobie und die Gewalt sprachlich zu reproduzieren, die in ihr zentrale Ordnungsprinzipien waren. Diese Ambivalenz sollte niemand aushalten müssen, der sich nicht bewusst dafür entschieden hat." Seine Erfahrungen in der Kindheit und frühen Jugend schildert er also, wie sie waren, hat aber Orte und Personen geändert. Verglichen mit meinem eigenen Aufwachsen, waren Bolz' Welt und meine in etwa so vergleichbar wie Essen-Borbeck und die Bronx. Leicht übertrieben, kommt dem Grundproblem aber nahe. Es geht um die Zeit nach der Wende, als den DDR-Bürgern blühende Landschaften versprochen wurden. Was tatsächlich kam, waren sterbende Industrien, Arbeitslosigkeit und Trübsal in den Schluchten zwischen den Plattenbauten. Das sind wichtige Faktoren, aber es geht mehr darum, dass schon in der DDR Rechtsradikalismus und Neonazis viel mehr den Ton angaben, als die dortige Parteiführung es zugeben wollte, lieber vom Rowdytum faselte als über braune Banden sprach. Herausgekommen ist so ein Buch, das in seiner Eindringlichkeit einem gelegentlich die Kehle zuschnürt. Wenn man eben nicht gewaltaffin ist.

Hendrik BolzNullerjahre


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Den britischen Autor George Orwell kennen die meisten Leute wohl von seinen beiden dystopischen Romanen Animal Farm und 1984. Zwischen März und November 1945 jedoch folgte George Orwell als Kriegsberichterstatter den alliierten Streitkräften durch Deutschland und Österreich. Von dort schrieb er Berichte für Zeitungen wie The Observer, Manchester Evening News oder Tribune. Diese Artikel sind nun erstmals vollständig übersetzt in Deutsch erschienen, mit einem Nachwort des Historikers Volker Ullrich. Nun könnte man meinen, dass diese Zeit doch schon genug dokumentiert, betrachtet und analysiert sei. Orwell fügt jedoch noch einmal eine neue Perspektive hinzu, seine Reportagen schildern frei von Triumph oder Hass, eher mit einer erstaunlichen Nüchternheit, welche Zerstörung der Krieg über Städte, Länder und Menschen gebracht hat.

George OrwellReise durch Ruinen


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Waren die US-Amerikaner lange ein Vorbild gerade für Deutschland, sind sie uns seit 2016 zu einem Rätsel geworden. Wie konnte eine Nation, die sich als demokratisches und liberales Vorbild in der Welt versteht, einen Menschen wie Donald Trump zum Präsidenten wählen? Was sind das für Leute, die man Evangelikale nennt, die die Bibel wörtlich interpretieren und für die Darwins Erkenntnisse barer Unsinn sind? Für die der Staat ein Feind ist, der "Deep State", der zu entmachten ist und dem jede Kompetenz zur Führung abgesprochen wird. Annika Brockschmidt schildert in ihrem Buch eine ganze Reihe von religiösen Gruppen in den USA, angefangen von den christlichen Nationalisten, über evangelikale Fundamentalisten, religiöse Rechte bis hin zu den zahllosen Splittergruppen. Scheinbar gründet in USA ständig irgendjemand ein Komitee, eine Vereinigung oder eine sonstige Gruppe, die jedoch Wesentliches gemeinsam haben: Die Überzeugung, die USA sei das von Gott erwählte Land, dass Religion und Politik nicht zu trennen sind und dass die USA eine christliche Führung haben sollen, keine weltliche. Alle säkularen, liberalen oder eben nicht gläubigen Menschen sind Feinde, von schwarzen Menschen, Einwanderern und Muslimen ganz zu schweigen. Diese Überzeugungen, auf die Brockschmidt im Detail eingeht und was ihre Ziele sind, lassen einen Europäer manchmal sprach- und verständnislos zurück. Nun könnte man diese Leute als Spinner und Verwirrte abtun und ignorieren. Jedoch haben sie inzwischen die amerikanische Gesellschaft, speziell die Politik, erschreckend durchdrungen, was von dieser Seite des Atlantiks nicht wirklich sichtbar ist. Und werden, nach Jahrzehnte langer Vorarbeit, zu einer Gefahr für die Demokratie in den USA.


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Als im Frühsommer 2021 die Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung vorgestellt wurde, bekam sie im Gegensatz zu anderen Studien eher wenig Aufmerksamkeit in den Medien. Die Kritik an der Studie ist nicht ganz unberechtigt, ist doch die Anzahl Teilnehmer an der Studie eher überschaubar. Es sind nicht einmal so viele Leute befragt worden, wie in meinem kleinen Dorf zwischen Paderborn und Büren wohnen. Sogar gut 500 weniger. Trotzdem ist die Studie nicht ganz unerheblich, betrachtet sie doch insbesondere eine aktuell wichtige Frage: Wie stark sind Rechtsextremismus, Verschwörungstheorien und Fremdenfeindlichkeit in der Mitte der Gesellschaft angekommen? Wobei die "Mitte" ein eher unscharfer Begriff ist, sie wird im Buch nicht genauer spezifiziert. Politisch gesehen würde ich sie bei den Wählern von SPD, CDU und FDP verorten. Gesellschaftlich im Mittelstand sowie kurz darüber oder darunter. Die Mitte-Studie gibt es seit 2002 im Abstand von zwei Jahren. Der Fragenkatalog ist jeweils an aktuelle Situationen angepasst, so tauchen Fragen zu Corona und Impfverhalten natürlich erst in dieser Studie für 2020/2021 auf. Was die Mitte-Studie aber schon liefert, ist ein Vergleich der Ergebnisse über nun 20 Jahre, wie sich die Einstellungen der Mitte verändert haben und unter welchen Einflüssen. So gesehen stimmen die Ergebnisse nicht unbedingt froh, zeigt sich doch ein Einsickern rechter und rechtsextremer Positionen in eine Gesellschaft der Mitte, die sich mal auf Vernunft, Bildung und Sachlichkeit berief.


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Eine Gruppe Studenten bekommt folgende Aufgabe gestellt:

Auf einem Teich wachsen Seerosen. An jedem Tag verdoppelt sich die von ihnen bedeckte Wasserfläche. Nach 48 Tagen ist der ganze Teich bedeckt. Wann war der Teich zur Hälfte bedeckt?

Nur 18% der Studenten lieferten spontan die richtige Antwort, von den anderen 82% meinte die große Mehrheit, das sei nach 24 Tagen der Fall gewesen. Was zeigt, dass Menschen, auch die mit einer höheren Bildung, mit exponentiellen Funktionen nicht umgehen können. So waren auch Politiker und sogar Wissenschaftler von der rasanten Ausbreitung des Corona-Virus überrascht. Ich war ob des Themas von einer gewissen Skepsis beim Beginn des Buches befangen, musste aber schnell feststellen, dass Stöcker mit seiner These völlig recht hat. Dieser eingebaute Mangel an Verständnis für Mathematik hat Konsequenzen. Unsere Entscheidungsblindheit und unsere Neigung zu unlogischen Annahmen hat schon Daniel Kahneman bewiesen, der in diesem Buch oft zitiert wird. Die eigentliche Frage ist daher, was diese Einschränkung bewirkt, in einer Welt, die von exponentiellen Entwicklungen geprägt ist. Sei es in der Technik und der Wissenschaft, in gesellschaftlichen und politischen Tendenzen, in der weltweiten Bevölkerungszahl oder beim Klimawandel. Doch ist das das nicht das einzige Thema, nicht einmal das zentrale, sondern Stöcker ist in der Forschung der künstlichen Intelligenz beteiligt. Auch die entwickelt sich exponentiell, nicht nur wegen immer leistungsfähigerer Hardware, sondern auch wegen ganz neuer Wege und Methoden in der Software. KI greift schon dort immer mehr in unser Leben ein als gedacht, wo wir sie direkt gar nicht sehen: in den sozialen Medien. Mit weitreichenden Folgen, die immer gefährlicher werden. Also ist es nicht ein Buch über menschliche Fehlannahmen, sondern mehr über künstliche Intelligenz.

Christian StöckerDas Experiment sind wir


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Braucht es noch ein Buch über die deutsche Einheit oder ist schon genug darüber geschrieben worden? Tatsächlich geht das Buch von Detlev Brunner und Günther Heydemann die Sache etwas anders an als andere Bücher. Der erste Teil des Buches behandelt die Geschehnisse rund um die Wiedervereinigung anhand von Zahlen, Umfragen und historischen Analysen. Ziemlich harte Fakten für Liebhaber harter Statistiken. Es geht um demografische Entwicklung und Migration, wirtschaftliche und soziale Folgen, Ablauf und Konsequenzen des Transformationsprozesses. Aber auch um Mentalitäten, Einstellungen und kulturelle Trends. Was zuerst wie stumpfes und langweiliges Zahlenmaterial klingt, zeigt jedoch in vielen Details, wie diese Transformation von DDR zu neuen Bundesländern tatsächlich abgelaufen ist. Die Rolle und das Versagen der Treuhand bekommen breiten Raum, wie die Menschen in Ostdeutschland die Transformation erlebt haben. So wundert es im Nachhinein eher weniger, wie viele Menschen 1990 und in den Jahren danach enttäuscht wurden, als Führungspositionen, Verwaltung bis in die Gerichte fest in westlicher Hand gerieten. Ein nächster Teil des Buches subsummiert dazu die weiteren Entwicklungen dieser Zeit, von der digitalen Revolution und Kommunikation bis zum Umbau der Wissenschaft und Lehre im Osten der Republik. Den Abschluss bildet eine historische Zusammenfassung, wie es nach der Einheit weiter ging, die Krisen und Kriege, die gesamtdeutsche Außen- und Sicherheitspolitik, der neue aufkommende Rechtsradikalismus, die Entwicklung der Europäischen Union. In dieser Gesamtheit ein tatsächlich neues Buch über ein inzwischen beinahe altes Thema. Wäre da nicht die Gegenwart.


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Bevor nun der nächste Bücherstapel von der Bundeszentrale für politische Bildung mit schwerer Kost eintrudelt, etwas für zwischendurch. Der Begriff geistert in den letzten Jahren verstärkt durch die Medien: Narzissmus. Aber was ist das eigentlich? Nein, ganz so naiv bin ich nicht, aber ich wollte schon aus persönlichem Interesse etwas darüber aus berufenen Munde lesen. Um zu prüfen, ob ich schon NarzisstInnen ins Netz gegangen bin, ob die letzte zerbröselte Beziehung etwas damit zu tun hatte, oder ganz allgemein um mehr über meine direkten Mitmenschen zu erfahren. Bin ich etwa selbst einer, der sich in den sozialen Medien und im Radio produziert? Da fängt die Malaise an. So einfach ist die Geschichte nämlich nicht. Nur weil jemand sich öffentlich darstellt oder öffentlich äußert, hat das nicht unbedingt etwas mit Narzissmus zu tun. Genau so hat Narzissmus nichts mit einem starken Selbstwertgefühl zu tun, im Gegenteil. Der Begriff ist zuerst einmal sehr schwammig und undeutlich. Die Definition, was einen Narzissten von einem Zeitgenossen, oder einer Zeitgenossin, unterscheidet, die nur einfach selbstsicher und mit einem gesunden Selbstvertrauen ausgestattet ist, gerät nicht in das alltägliche Allgemeinwissen. Das Buch schien für dieses Ansinnen geeignet. Auch wenn es der manchmal belächelten Ratgeberliteratur angehört.


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Das Buch über den Sound des Jahrhunderts hat mich doch sehr lange beschäftigt, bis ich zu diesem Buch kam. Noch etwas befeuert von einer Sendung mit Bernd Stegemann in WDR 5. Nun ist Stegemann nicht gerade ein Zeitgenosse, den man politisch so einfach verorten könnte. Gilt als linksliberal, scheut aber auch nicht vor Kritik am linken Spektrum zurück. Dazu ist er weder Philosoph noch Soziologe oder Psychologe. Sondern in der Hauptsache Dramaturg. So bewegt sich "Die Öffentlichkeit und ihre Feinde" eher auf der Ebene eines frei flottierenden Essays, als es wissenschaftliche Betrachtung oder Analyse ist, geschweige denn Sachinformation. Es beginnt mit der Frage, was denn Öffentlichkeit überhaupt ist. Geht man in die Siebziger oder Achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts zurück, war Öffentlichkeit im Wesentlichen das, was von Medien wie Zeitungen und Rundfunk verbreitet wurde. Mit den technologischen Veränderungen im 21. Jahrhundert hat sich der Begriff Öffentlichkeit gewandelt, Sender und Empfänger sind nicht mehr klar unterscheidbar. Dafür ist Öffentlichkeit nun geprägt von Auseinandersetzungen, Streit und Beschimpfungen, bis hin zu Beleidigungen, Hass und Hetze. Diese Entwicklungen nur den Sozialen Medien in die Schuhe zu schieben, greift jedoch zu kurz. Die zunehmende Spaltung der Öffentlichkeit, die Betonung von Identitätsfragen und Gruppenzuordnungen hat, so Stegemann, seine Wurzeln zuerst an anderer Stelle. Und zeigt sie noch woanders, nämlich in den Veränderungen der Gesellschaft in neue Schichten. Denn der eigentliche Verantwortliche sei der Neoliberalismus. Als schleichendes Gift mit weitreichenden Folgen.


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Ein Resteverkauf beim Fontis-Verlag, wo auch ein gewisser Uwe Schulz publiziert, animierte mich zur Bestellung zweier Bücher eben dieses Autors. Nachdem mich sein Buch "Nur noch eine Tür" doch recht beeindruckt zurückgelassen hatte. Aber ich bin mit Uwe Schulz noch weiter verbunden. Wenn morgens früh der Radiowecker seinen Betrieb aufnimmt und ich an manchen Tagen dann sage "Guten Morgen, Uwe".  Sein Buch "Versöhnung" ist schon 2015 erschienen, also kein so neues Werk. Ein Buch mit "Erzählungen vom Rand der Verzweiflung bis ins Zentrum lebendiger Hoffnung. Das Leben zwischen Himmel und Erde mit allen Farbschattierungen.", wie es auf der Facebook-Seite für das Buch heißt. Genau sind es zwölf Erzählungen. Geprägt ist das Buch durch Schulz' christlichen Glauben und durch seinen Bezug zur Bibel. Was mich als Agnostiker, der sich aber aus seinem Lebenslauf heraus immer noch mit der evangelischen Kirche als soziale Institution verbunden fühlt, kein Hindernis ist. Denn wie schon in seinem oben erwähnten Buch ist zwar der Glaube in den Texten nicht zu übersehen. Aber auch nicht die Haltung. Ein Buch mit dem Glauben, aber nicht über den Glauben.

Uwe SchulzVersöhnung


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Nachdem ich die Bundeszentrale für politische Bildung (www.bpb.de/shop/) als neue Quelle für politische Bücher zu Kampfpreisen entdeckt hatte, orderte ich testweise zwei Ausgaben. Die erste, über den Populismus, gab ich nach einem Drittel wieder auf. Weil sehr schwer verständlich. So wertvoll vielleicht wissenschaftlich, so unleserlich für den Alltagsleser. Das zweite Buch motivierte mich mit einer Dicke von 4,5 Zentimetern nicht so direkt zum Aufschlagen, aber ich fing aus Interesse trotzdem an zu lesen. Dieses Buch habe ich ordentlich zu Ende gelesen. Hat halt etwas Zeit gekostet. Erleichternd sollte ich erwähnen, dass 1,5 Zentimeter Papier allein Anmerkungen und Bibliografie geschuldet sind. Auch wenn ich dem Thema des Buches, der Geschichte des Antisemitismus, nicht direkt nahe stand, ist es eine selten so gesehene detaillierte und zugleich lesenswerte Darstellung. Nicht nur historisch genau in Einzelheiten und Zusammenhängen, sondern sogar aktuell bis in die Neuzeit. Wer sich für die neuere deutsche Geschichte in diesem Bereich interessiert, sollte die 4,50 Euro plus Versandkosten ab einem Kilogramm Buch springen lassen. Für das Wissen um die deutsche Geschichte eine lohnenswerte Investition. Denn es geht um mehr als nur um das Thema auf dem Buchdeckel. Es geht um die deutsche Geschichte.


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Bücher kaufe ich oft nach redaktionellen Besprechungen, wie im Perlentaucher oder nach Empfehlungen der Händler. Manchmal auch nach Klappentexten der Verlage. Für dieses Buch lautet der so:

Warum werden die demokratischen Gesellschaften der westlichen Welt in ihrem Kern immer weiter ausgehöhlt? Wie war es möglich, dass unter dem Firnis der Demokratie Extremismus und Populismus gedeihen? Die beiden weltweit renommierten britischen Ökonomen Paul Collier und John Kay zeigen in ihrem leidenschaftlichen Debattenbuch, wie der Ethos des extremen Individualismus unser Gemeinwesen zerrüttet – nicht nur durch das noch immer vorherrschende Ideal kapitalistischer Gewinnmaximierung und das Trugbild des Homo Oeconomicus, sondern vor allem durch die permanente Ausweitung individueller Rechte zulasten des Gemeinwohls. Sie führen vor, wohin die Gier des Einzelnen führen kann - und was politisch geschehen muss, um das Auseinanderbrechen der Gesellschaft zu verhindern.

Das Problem: Das Buch behandelt dieses Thema zwar am Rande, tatsächlich geht es jedoch um eine ganz andere Sache. Wie nämlich die Zentralisierung in Großbritannien mit dem Oberzentrum London das Auseinanderbrechen dieser Nation herbeiführte. Trotzdem habe ich tapfer bis zur letzten Seite durchgehalten. Zwar blieb der Erkenntnisgewinn bis zum Schluss aus, jedoch habe ich einiges über meine zweite Heimat gelernt.


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Mit ins Deutsche übersetzten Büchern amerikanischer Autoren tue ich mich manchmal schwer. Es sei denn, es geht um Musiktheorie oder Physik. Zu unterschiedlich sind, trotz aller politischen und wirtschaftlichen Parallelen, Werte und soziale Normen in Deutschland und den USA. Auch Michael J. Sandels Buch über das Ende des Gemeinwohls fußt auf amerikanischen Verhältnissen und der amerikanischen Geschichte. Besonders in diesem Fall den Verhältnissen an Universitäten und der Gesellschaft jenseits des Atlantiks. So konzentriert sich Sandel auf die Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft, der Machtverhältnisse und wirtschaftlichen Lage in seinem Land. Also zuerst gesehen fern der bundesdeutschen Realität, könnte man meinen. Doch es täuscht. Sandel liefert eine gelegentlich etwas abgehobene, detailverliebte und dann wieder sehr feinsinnige Analyse, warum Brexit, Donald Trump und Rechtpopulismus weltweit solche Siegeszüge antreten konnten. Oder wie der Spruch lautet, dass die Entwicklungen in Deutschland denen in den USA nur um zehn Jahre hinterher hinken. Da ist etwas dran.


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Pflicht. Klingt so etwas muffig, nach Altvorderen und Kaiserreich. Nach uralten Zeiten und überkommenen Traditionen. Wenn nun ein Buch zu diesem Begriff in 2021 erscheint und auch noch von einem Philosophen, dann muss es wahrscheinlich um Corona und "Querdenker", Pandemie und Gesellschaft gehen. Genau das trifft zu. Entwarnung vorab, es ist kein Buch mit erschlagendem Umfang, wie Prechts Geschichte der Philosophie in bisher drei Bänden. Darum nennt Precht es auch nur eine Betrachtung, nimmt die Erwartungshaltung des Lesers zurück. Bleibt sich trotzdem treu.

Geht man zurück zu den historischen Philosophen, stehen in deren Betrachtungen Begriffe wie Ehre, Erkenntnis, Pflicht und Wahrheit im Vordergrund. Das war jedoch noch zu einer Zeit, als Staaten keine Fürsorge- und Vorsorgepflichten hatten. Es galt das Recht des Mächtigen, die Bürger hatten ihrer Pflicht zu folgen. Rechte gab es wenige, für Frauen schon gar nicht. In den heutigen liberal-demokratischen Staaten wie Deutschland ist die Rolle des Staates eine andere. Er ist verpflichtet, für seine Bürger zu sorgen, sie zu schützen und zu ermöglichen, dass sie ihre Rechte wahrnehmen können. Aus dieser Pflicht des Staates erwachsen jedoch auch Rechte für ihn. Das Recht, die Freiheiten des Einzelnen einzuschränken, wenn Minderheiten und Schwache zu schützen sind. Denn die Freiheit des Einen endet bekanntlich dort, wo sie die Freiheit des Anderen verletzt. So weit, so gut. Aber was passiert heute? Menschen entpflichten sich aus der Gemeinschaft und gegenüber dem Staat. Sie wollen ihre grundgesetzlich verbrieften Rechte unter allen Umständen durchsetzen, auch wenn andere Menschen dafür erkranken oder sogar sterben. Tugenden wie Anstand und Mäßigung, Ehre und eben Pflicht sind auf dem Weg in die historische Mülltonne. Denn viele Menschen haben sich aus der Gemeinschaft verabschiedet, Gemeinwohl interessiert nicht mehr. Prechts Sicht auf diese Entwicklung ist plausibel und klar. Kapitalistischer Eigennutz vernichtet solidarische Gemeinschaft. Nicht mehr Fakten spielen eine Rolle, sondern Meinungen und Emotionen. Der Kapitalismus fördert das Ende der Demokratie.  Vereinfacht gesagt.


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Seit 20218 haben die Briten ein Einsamkeitsministerium. Untersuchungen zur Einsamkeit gibt es mehr als genug. Fast scheint die Einsamkeit eine Art Volkskrankheit geworden zu sein. Dazu passt das Buch Die Einsamkeit des modernen Menschen von Martin Hecht auf den ersten Blick. Doch Hecht geht es nicht um die Beschreibung, sondern um die Historie und Bedeutung der Einsamkeit in der heutigen Zeit. Warum fühlen sich heute so viele Menschen einsam, und was hat das verursacht? Was sind die Konsequenzen? Der Untertitel deutet eine politische Interpretation an, tatsächlich geht es um politische Folgen eher am Rande, als Auswirkung und Nebeneffekt. Das eigentliche Stichwort ist die Individualisierung, die in der Renaissance mit der Hinwendung zu Vernunft und Eigenverantwortlichkeit begann. Die Wichtigkeit, ein Individuum zu sein, ein eigenständiges und unabhängiges Dasein zu führen, entstand erst mit der Industrialisierung und Urbanisierung. Doch das Loslassen von Traditionen und Institutionen hatte seinen Preis. Den Verlust der familiären und sozialen Bindungen, die dem individuellen Lebensstil entgegen standen. Mit der bitteren Konsequenz, dass die eigene Rolle und Bedeutung unklar und nebulös wurden. Daraus, so Hecht, entstand das Bedürfnis, wieder eine Sichtbarkeit, ein Gesehenwerden zu erreichen, Respekt und Aufmerksamkeit zu bekommen. Kein leichtes Unterfangen in der heutigen Zeit, wo Bedeutung und gesellschaftliche Position an Klicks, Likes und Shares gemessen werden. Selbst das Medium, das Eigenständigkeit, weltweiten Austausch plus Liberalität versprach, wo sich jeder präsentieren kann, das Internet, hat es nur verschlimmert. Mit der Folge, dass sich Menschen aus ihrer gefühlten oder tatsächlichen Bedeutungslosigkeit und Unsichtbarkeit radikalen und populistischen Gruppierungen anschließen. Die ihnen versprechen, ihnen wieder eine Stimme und einen Wert zu geben.

Martin HechtWDR 5 «Neugier genügt»


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Robin Alexander: Machtverfall

Robin Alexander: Machtverfall

Der Untertitel Ein Report ist eine deutliche Untertreibung. In Machtverfall fasst der Journalist Robin Alexander die politischen Geschehnisse in Deutschland von ca. 2015 bis April 2021 zusammen. Angefangen bei der Flüchtlingskrise, aber auch mit Rückblick auf frühere Ereignisse, wie den Börsencrash 2008. Was zugleich bedeutet, dass das Buch in einiger Zeit nur noch historisch interessant ist, keine aktuelle Politik mehr. Scheint auf den ersten Blick etwas wenig, aber diese Schwäche ist zugleich eine Stärke des Buches. Eine Stärke, die zurecht das Buch schnell in die Bestsellerlisten katapultiert hat. Es ist eben keine Aufzählung im Sinne von "erst passierte das, dann das". Es ist eine detailgenaue Analyse der politischen Stationen der politischen Parteien, wobei, der Titel lässt es ahnen, die CDU im Vordergrund steht. Mit diesem Aufhänger geht es durch die letzten Jahre Politikgeschichte in der Bundesrepublik. Hineingewebt sind jede Menge Details, über die Alexander aus seinem alltäglichen Job verfügt, oft keine öffentlichen, vielleicht sogar außerhalb des öffentlichen Interesses. Doch alles zusammen, Fakten, Analysen, Details, machen aus dem Report einen spannenden Roman.


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